Irrtümer und Vorurteile in der Papageienhaltung

Wenn’s um Papageien geht, ist man häufig mit Irrtümern und Vorurteilen konfrontiert:

Zur Haltung allgemein:

„Ich kann dem Vogel keine Naturäste und kein Spielzeug geben, er fürchtet sich vor allem.“

Von Natur aus sind Papageien intelligente und daher neugierige Lebewesen. Doch ständige Reizarmut und immer gleiche Tages- und Handlungsabläufe sowie eine Umwelt, die sich nie ändert (immer die gleichen Sitzstangen am gleichen Ort, etc.) führen zu Fixierung auf das Alte und Angst vor Neuem. Das gilt auch für die Prägung auf bestimmte Futtermittel. Langsame Umgewöhnungsversuche („Annäherung“ eines Naturastes, etc.) zeigen nur wenig Erfolg, die Vögel erweisen sich meist beharrlicher als ihre Besitzer – schon nach kurzer Zeit „erlöst“ man das Tier vom angstmachenden Spielzeug oder verweigerten Futter. Damit schließt sich der Teufelskreis, dem Vogel wird immer langweiliger, er wird aufgrund falscher Ernährung (meist Sonnenblumenkerne und Nüsse) krank und stirbt mitunter einen frühen Tod.

„Vögel, die sich fortpflanzen, sind glücklich“.

Eine Irrmeinung, die oft von Züchtern vertreten wird, aber längst tiergartenbiologisch widerlegt wurde. Die Fortpflanzung hat mit artgerechter Haltung wenig zu tun, sie ist eine triebgesteuerte Handlung. Je nach Tierart sind verschiedene Faktoren für eine erfolgreiche Fortpflanzung ausschlaggebend: Ernährung, klimatische Verhältnisse, harmonisches Verhältnis zwischen Tierpartnern, etc. Andere Parameter, wie z.B. adäquate Unterbringung, Beschäftigungsmaterial, Flugmöglichkeiten und Hygiene sind zwar für ein „erfülltes Vogelleben“ maßgeblich (die Bezeichnung „glücklich“ ist sehr anthropogen besetzt), nicht aber für den Zuchterfolg, schon gar nicht dann, wenn die Eier den Vögeln ohnehin zur Handaufzucht weggenommen werden. Das heißt, dem Vogel wird gar nicht die Möglichkeit gegeben, seiner Natur gemäß auf seine Umweltsituation zu reagieren. Tiere, die in einem beengten Lebensraum leben müssen, verweigern oft die Aufzucht der Jungen, da sie wissen, dass auf der zur Verfügung stehenden Fläche nicht mehr Tiere als sie selbst existieren können.

„Papageien wollen gar nicht fliegen, es sind Klettertiere“.

Nein! Die vielen verschiedenen Papageienarten (über 350!) haben unterschiedliches Flugvermögen, dennoch: Fast alle legen in der Natur täglich viele Kilometer zurück, um morgens von ihren Schlafplätzen zu ihren Nahrungsgründen zu fliegen und abends wieder retour (man nennt dies einen Tagesgang). Einige Gründe, warum Papageien in Gefangenschaft weniger fliegen:

  • Die Unterbringung ist zu klein, sie haben nicht genügend Platz.
  • Alle interessanten Dinge, die es zu erreichen gibt, liegen in „Kletterweite“, z.B. auf einem Kletterbaum; eine instinktive „Kosten-Nutzen-Rechnung“ sagt dem Vogel, dass er energetisch günstiger dran ist, wenn er klettert, da Fliegen mehr Energie kostet.
  • Es gibt keine anderen Landemöglichkeiten im Raum; Großpapageien fliegen nicht einfach Kreise im Zimmer, Sittiche schon.
  • Der Vogel ist zu dick; dies kommt sehr häufig bei Amazonen vor.
  • Der Papagei ist schon lange nicht geflogen und hat daher keine gut ausgebildete Flugmuskulatur.
  • Der Vogel ist krank – er leidet z.B. an Aspergillose (Pilzerkrankung der Lungen und Luftsäcke), dadurch hat er Probleme mit der Atmung. Je mehr er sich anstrengt, desto weniger Luft bekommt er. Also lässt er das Fliegen lieber bleiben.
  • Der Vogel leidet unter einer – vielleicht schwer sichtbaren – Flügelverletzung und kann daher nicht fliegen.
  • Der Papagei hat sich die notwendigen Schwung- und/oder Schwanzfedern ausgerupft.
  • Der Schwungfedern sind gestutzt. Auch wenn die Federn längere Zeit gestutzt waren, kann es sein, dass man dem Vogel das Fliegen erst wieder beibringen muss (motivieren, Übungen in Bodennähe, etc.).

„Handaufgezogene Vögel neigen nicht zum Federrupfen.“

Stimmt nicht. Die Handaufzucht und Zähmung schützt nicht vor Verhaltensstörungen. Ganz im Gegenteil. Sobald der Vogel geschlechtsreif wird, kommt er in einen enormen Konflikt – mit wem soll er eine Paarbindung eingehen – mit dem Menschen, auf den er fehlgeprägt wurde? Doch dieser Mensch kann seine Bedürfnisse nicht befriedigen, das Resultat ist oft gesteigerte Eifersucht und Aggression, auch gegen den eigentlich geliebten Menschen. Wird der Vogel oft alleine gelassen, richtet er die Aggression schließlich gegen sich selbst (Autoaggression) – er beginnt, die Federn zu rupfen, die Haut aufzubeißen, stereotype Bewegungen durchzuführen. Handaufgezogene Vögel sind aufgrund ihrer Fehlprägung auch schwieriger zu therapieren. Es kann Jahre dauern, bis sie einen Artgenossen als solchen akzeptieren.

Paar- oder Einzelhaltung?

„Wenn man sich ein bis zwei Stunden am Tag mit einem Papagei beschäftigt, kann man ihn auch alleine halten.“

Leider ein häufiges Argument der Tierhändler. Tiergerechte Papageienhaltung sollte jedoch nicht daran gemessen werden, was Papageien „gerade noch aushalten“. Für ein intelligentes, soziales, Wesen sind Einsamkeit und Langeweile die schlimmsten Feinde. Auch mit einem drei- oder vierjährigen Kind kann man sich nicht nur eine Stunde am Tag beschäftigen; Papageien stehen auf einem ähnlichen Entwicklungsniveau. Außerdem sind sie tagaktiv – d.h. sie möchten tagsüber etwas erleben, Abwechslungen und Herausforderungen haben. In der menschenleeren Wohnung sind sie einer permanenten Reizarmut ausgesetzt. Wenn ihre berufstätigen Besitzer abends nachhause kommen, sollten die Vögel eigentlich ihre Nachtruhe antreten. Immer wieder hört man von diesen Besitzern, ihre Vögel hätten sich „umgestellt“ – das mag sein, aber um welchen Preis? Fast immer zeigen diese Vögel nach einigen Monaten oder Jahren schwere psychische Schäden, die bis zur Selbstverstümmelung reichen. Ist unser Egoismus das wert?

„Wenn sie zu zweit sind, reden Papageien nichts mehr“.

Falsch. Papageien, die einmal gelernt haben, die menschliche Stimme nachzuahmen, verlernen dies nicht. Manche werden durch eine Verpaarung etwas weniger plaudern, da sie ja jetzt einen Partner haben, mit dem sie sich in ihrer Sprache unterhalten können, andere aber sprechen gleich viel oder lernen sogar noch dazu. Es gibt sogar Papageien, die den Anschein machen, als würden sie in „Menschensprache“ miteinander reden.

„Ein Vogel, der viele Jahre alleine gelebt hat, akzeptiert keinen Artgenossen mehr.“

Unrichtig. Nicht die Dauer der Einsamkeit sondern die Prägung ist aussschlaggebend für die Akzeptanz eines Partners. Fehlgeprägte, handaufgezogene Vögel werden immer den Menschen als Partner bevorzugen, wenn sie die Wahl haben, während jene, die von den Eltern oder zumindest mit den Nestgeschwistern im sozialen Verband aufgezogen wurden, ihre Artgenossen auch nach vielen Jahren noch erkennen und annehmen. Dennoch sind Papageien sehr wählerisch – nicht alle sind einander sympathisch. Oft sind mehrere Versuche nötig, bis sich ein hamonierendes Paar findet.

„Es ist egal, welche Arten man zusammenbringt.“

Leider nicht. Es gibt zwar Freundschaften zwischen verschiedenen Arten, aber die gibt es auch zwischen Papagei und Hund oder Papagei und Katze. Eine dauerhafte harmonische Bindung wird ein Vogel, der die Wahl hat, nur mit einem Artgenossen eingehen (dies ist auch „biologisch sinnvoll“). Die Ausnahmen dieser „Regel“ bilden in Gefangenschaft nur verschiedene Amazonenarten untereinander sowie verschiedene Ara- und Kakaduarten; d.h. hier erstreckt sich die Bindungsmöglichkeit auf die Gattung. So etwa kann es sein, dass sich eine Blaustirnamazone mit einer Gelbwangenamazone verpaart, ein Hellroter Ara mit einem Grünflügelara, etc.


Zum Erwerb:

„Im Handel bekommt man nur mehr nachgezüchtete Tiere“.

Falsch. Bis auf die australischen Arten wie Wellensittich, Nymphensittich und australische Großsittiche sind regelmäßig auch Wildfänge im Zootierhandel erhältlich. Und das, obwohl die Familie der Papageien zu den am stärksten vom Aussterben bedrohten Vogelgruppen gehört (95 Arten bedroht!). Auch Vögel, die nach Auskunft des Händlers vom belgischen oder holländischen „Großzüchter“ stammen, können in Wirklichkeit Wildfänge sein.

„Wenn man einen nachgezüchteten Vogel kauft, braucht man kein schlechtes Gewissen haben.“

Leider meist unrichtig. Die Lebensbedingungen der Tiere in Zuchtanlagen sind sehr oft alles andere als artgerecht.

  • Kellerhaltung ist immer noch üblich, besonders bei lauten Vögeln, die im Siedlungsgebiet gehalten werden und wertvollen, bei denen Diebstahlgefahr besteht.
  • Die Einrichtung der Volieren ist meist spärlich: 2 Sitzstangen, Futter, Wasser, Nistkasten. Die Vögel sollen durch Beschäftigungsmaterial nicht „abgelenkt“ werden, argumentieren manche Züchter, sie sollen lieber züchten.
  • Wenn – durchaus harmonierende – Paare keinen Fortpflanzungserfolg haben, werden sie getrennt, auf das Faktum „Einehe“ wird keine Rücksicht genommen.
  • Klimatische und hygienische Bedingungen sind oft mangelhaft, ebenso die tierärztliche Betreuung, welche weniger „wertvollen“ Vögeln, wie Wellensittichen und Unzertrennlichen (Agaporniden) oft gänzlich versagt wird. Hals umdrehen, Sterben lassen, Entfliegen lassen – immer noch stattfindende „Maßnahmen“ bei auftretenden Krankheiten.
  • Monatelanges Leben in kleinen Zuchtboxen, das Argument: „Da züchten sie besser“.

Fazit: Zuchtanlage vor dem Kauf ansehen! Noch besser: Vögeln ein neues Zuhause geben, die ihres verloren haben – es gibt genug davon.